Die Konservativen werden von einer Frau geführt, die Nationalisten gar von einer lesbischen Frau und das wirtschaftsliberalste Programm der letzten Jahrzehnte, die Agenda 2010, stammt von der SPD. Die Ehe für alle rückt Dinge wieder an ihren Platz.

Manchmal ist Politik schwer zu begreifen. Unsere Welt ist heute komplexer als jemals zuvor und die Parteien sind ebenfalls schwerer greifbar. Angenommen die AfD wäre im Bundestag. Angenommen sie hätte über die Ehe für alle abstimmen müssen. Dann hätte sich der interessante Fall ergeben, dass Frau Weidel, lebend in einer eingetragenen Partnerschaft mit ihrer aus Sri Lanka stammenden Partnerin, sich wohl dem Fraktionsdruck ihrer nationalistischen Partei hätte ergeben müssen und gegen das eigene Recht, eine Ehe mit ihrer Partnerin eingehen zu können, gestimmt hätte. Ironie auf hohem Niveau wäre das gewesen. Gekommen ist es jedoch anders.

Rot, Rot, Grün hat sich geschlossen durchgesetzt gegen die große Koalition und die Union. Letztere standen vor der Gewissensfrage und zeigten, jeder Abgeordnete für sich, dass für sie die Ehe hetero sein muss. Im Grunde war es jedoch egal was die CDU/CSU abstimmte. Selbst wenn sie ausnahmslos dagegen gestimmt hätten, dann wäre sie trotzdem beschlossen worden. Merkel und die Union wurden einfach überstimmt. Die einzige Entscheidung, die die Kanzlerin treffen konnte, war also wie sie überstimmt werden will. Ein geschlossenes Nein hätte ein rückständiges Bild der Konservativen abgegeben und hätte für Imageprobleme gesorgt. Ein einheitliches Ja hingegen hätte in den Parteien für großen Widerstand gesorgt und wäre wohl nicht machbar gewesen. So entschied sich Merkel wie sie es gerne tut: taktisch, ohne sich zu entscheiden. Es war der Versuch moralisch zu wirken durch die Gewissensfrage. Die CDU/CSU konnte so große Aufmerksamkeit erringen in der Debatte und musste dabei keinen Standpunkt vertreten.

Tatsächlich ist der Zugang aller Menschen zur Ehe nach meiner Meinung jedoch etwas, das längst beschlossen gehört hätte. Als vor einiger Zeit Irland ähnliches entschied, war mein erster Reflex ein: „Jawohl, jetzt ziehen die auch endlich nach!“, bis mir klar wurde, dass sie uns deutlich voraus waren. Homosexuelle müssen gleichberechtigt sein. Sie stellen eine Minderheit dar, die wie Juden, Flüchtlinge oder Sinti und Roma vom Staat beschützt werden müssten. Benachteiligung oder Aggressivität diesen Gruppen gegenüber ist stets eines der ersten Anzeichen des Abdriftens eines Staates weg von freiheitlichen, hin zu autoritären Strukturen.

Dass die Union nun ohne Fraktionsdruck mehrheitlich dagegen stimmte zeigt deutlich warum sie die Konservativen sind. Es rückt Dinge wieder gerade und verdeutlicht den Unterschied dieser Partei zu den anderen. Es ist eine seltene Entwicklung, dass die CDU unter Merkel ihr Profil schärft. Wie gut passt es dass dies durch ein Nicht-entscheiden ihrerseits erst möglich war. Es wird sich nicht oft wiederholen.

Was haltet ihr von der Ehe für alle?
Ist meine Analyse der Union zutreffend?
Meint ihr die Diskussion wird noch weiter gehen, vor dem BVG beispielsweise?

3 Kommentare zu „Gleichberechtigung spaltet!

  1. Für die CDU war es die falsche Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen. Es gibt ja durchaus konservative Positionen pro Ehe für alle … Kuschel-Konservatismus halt. Ich finde deshalb, die CDU hat gewonnen. Ihnen ist es gelungen, ihr normatives Konstrukt Ehe auch Schwulen und Lesben überzustülpen.
    In Kürze: Ich denke nicht, dass dadurch die Ehe normalisiert wird, sondern einen Nachfolger für das zu finden, was man heute Heteronormativität nennt. Denn im Kern geht es doch darum, dass nun alle menschlichen Zweierpaare Zugang zu einem Privileg haben. Wenn du so willst, ist das die endgültige Domestizierung der „homosexuellen Lebensweise“, einhergehend mit der Stärkung eines Privilegs, das letztlich religiös begründet ist.

    Ich sehe da einen konservativen Sieg auf ganzer Linie. Und ja, das ist zynisch.

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    1. Die Konservativen, die pro Ehe für alle sind, die gibt es selbstverständlich auch, da gebe ich dir recht. Der Großteil hat sich jedoch bei dieser Abstimmung dagegen entschieden, hin zu einem altmodischeren und weniger gemäßigten Konservatismus. Es zeigt klarer den Grund auf dem eben auch der Kuschel-Konservatismus steht. Das führt zu einem deutlicheren Bild der Parteienlandschaft, als es eine angepasste, gemäßigte Position tut. Dieses Perspektive hatte ich versucht zu zeigen, denn ich finde sie beachtenswert. Nicht wenige scheinen heute die Parteien unseres Parlaments als Einheitsbrei wahrzunehmen, wogegen ich denke ich ein Beispiel gesetzt habe.

      Die Domestizierung der homosexuellen Partnerschaft durch die Ehe, welche letztendlich ein Werkzeug zur Privilegierung durch die Religion ist…richtig verstanden?
      Also Gleichberechtigung die lieber alle privilegiert statt überholte Privilegien abzulegen, sozusagen?
      Der Sieg der Konservativen, denn die Ehe bleibt! Zynisch allemal, aber ich glaube das erfasst die Ehe nicht voll. Klar sind damit steuerliche Vorteile verbunden, aber bedeutender ist doch die enge Bindung an unsere und so viele andere Kulturen, oder nicht?

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      1. Ich weiß nicht, ob die Welt noch mehr reaktionäre Angebote neben der AfD braucht, aber du hast recht, dass sich das Profil schärft für diejenigen, die Politik nur noch als Schlagworte wahrnehmen und sich die Tagesthemen sparen.
        Zur Ehe: Du unterliegst einem Denkfehler, der auf sehr schöne Weise zeigt, wie mächtig Begriffe sind: Ehe „für alle“ ist eben nicht die „Ehe für alle“. Es werden exklusive Zweier-Beziehungen privilegiert und damit ein Bild davon vermittelt, wie Lebenspartnerschaft zu sein hat.
        Ich bin kein Ethnologe, deshalb kann ich zu den „vielen anderen Kulturen“ nicht viel sagen, aber die Ehe, die wir heute im Westen praktizieren, ist ein eher westliches Konstrukt, gerade was die Exklusivität angeht. Es sind auch andere Konstrukte denkbar, bei Platon und Aristoteles finden sich schon Modelle – eine Geschichte der exklusiven Zweierbeziehung gibt es nur in Verbindung mit der Kritik daran.
        Was ich zu alternativen Ehemodellen sagen kann: Mormonen, Islam, Hinduismus. Die „Ehe für alle“ erlaubt eben keine Polygamie. Und diskriminiert mich sogar, wenn ich mich entscheide, allein zu leben, statt jemanden zu heiraten und trotzdem keine Kinder in die Welt zu setzen.
        Und noch ein Letztes, weil ich es kurios finde: https://antjeschrupp.com/2017/06/30/die-ehe-fuer-alle-gibt-es-bislang-nur-fuer-maenner/

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